Warum ist Verbundenheit so wichtig? Wie spiegelt sich das Bedürfnis nach Verbundenheit in Produkten wieder? Wie können Sie das für das eigene Produkt berücksichtigen? Wie lösen andere Produkte die Befriedigung des Verbundenheits-Bedürfnisses? Welche Designpatterns gibt es, um ein Gefühl von Verbundenheit auszulösen? Welche Designelemente sind hier besonders gefragt?
Mit unserer großen Bedürfnis-Reihe möchten wir Ihnen die essenziell wichtige Frage beantworten „Was macht ein Produkt wirklich cool und begeisternd?“. In diesem Artikel widmen wir uns den obenstehenden Fragen und zeigen Ihnen, wie Sie das Bedürfnis der Nutzer nach Verbundenheit nicht nur verstehen, sondern auch in klare Ideen für Ihre Produktgestaltung übersetzen können, um so sicherzustellen, dass Ihr Produkt beim Nutzer positive Emotionen hervorruft.
Die große Bedürfnisreihe: Was bisher geschah
In unserem Einführungsartikel haben wir Folgendes festgestellt: Positive Emotionen bei der Nutzung sind essenziell für eine positive User Experience. Diese setzt sich zum Teil aus einer guten Usability, aber auch aus den erwähnten Emotionen zusammen.
Positive Emotionen werden dadurch erreicht, dass während der Nutzung essenzielle menschliche Bedürfnisse der Nutzer befriedigt werden. Soll Ihr Produkt also eine positive UX bieten, müssen Nutzerbedürfnisse erkannt und durch gute Produktgestaltung eingebunden werden.
Wir haben in unserem Einführungsartikel folgende Bedürfnisse als besonders relevant für die Techniknutzung identifiziert:
(nach Sarah Diefenbach: „Experience Design Tools – Ansätze zur Interaktionsgestaltung aus dem Blickwinkel psychologischer Bedürfnisse“)
Schauen wir uns doch das Bedürfnis nach Verbundenheit einmal genauer an.
Verbundenheit: Das Bedürfnis, sich anderen nahe zu fühlen, insbesondere den Menschen, die einem wichtig sind. Es geht um das Gefühl sozialer Eingebundenheit und Nähe.
(Source: Sarah Diefenbach „Experience Design Tools – Ansätze zur Interaktionsgestaltung aus dem Blickwinkel psychologischer Bedürfnisse“)
Von Inseln und Menschen: Einführung in das Bedürfnis „Verbundenheit“
„Niemand ist eine Insel“. Das hat bereits John Donne vor mehr als 400 Jahren festgestellt. Und auch die frühesten populären Ansätze der Psychologie greifen das Bedürfnis nach Verbundenheit als eines der wichtigsten auf. In der Maslowschen Bedürfnis-Pyramide (1943/1954) erscheint Verbundenheit in Form von „sozialen Bedürfnissen“ zum Beispiel direkt nach den physiologischen Bedürfnissen (z. B. Schlaf und Essen) und dem Bedürfnis nach physischer Sicherheit und Unversehrtheit. Verbundenheit war schon damals eines der ersten Bedürfnisse, bei denen auch bei gesunden Menschen regelmäßig von einem Mangel ausgegangen werden kann (Maslow).
Hinter dem Bedürfnis nach Verbundenheit stecken verschiedene Dinge: Auf der einen Seite handelt es sich um das Bedürfnis, mit einer konkreten und vertrauten Person verbunden zu sein und sich mit dieser verbunden zu fühlen. Hier ein typisches Beispiel: Sie treffen nach einiger Zeit einen guten Freund wieder. Schließlich sprechen Sie direkt über bisherige gemeinsame Erlebnisse und bringen einander auf den neuesten Stand. In diesem Zusammenhang fallen üblicherweise Sätze, die anfangen mit „Weißt du noch, damals als…“. Familienmitglieder oder der Partner sind hier ebenfalls typische Adressaten.
Auf der anderen Seite muss Verbundenheit nicht auf eine einzelne Person beschränkt sein, sondern kann sich auch auf eine Gruppe, eine Nationalität oder eine Bewegung beziehen. Denken Sie nur mal an die letzte Fußball-WM oder Ihren letzten Konzertbesuch. Und wenn Sie zum Beispiel an einem Spieltag der Fußballbundesliga ins Stadion gehen, tragen Sie das Trikot „Ihres“ Vereins und sehen sofort, wer noch auf „Ihrer“ Seite steht.
Verbundenheit ist tief verwurzelt
Verbundenheit ist so tief verwurzelt in allem, was ein Mensch tut, dass es keine Möglichkeit gibt, diesem Gefühl, dieser Erfahrung auszuweichen. Das ist im Deutschen bereits deutlich zu erkennen, wenn sich zwei fremde Personen bekannt machen oder miteinander bekannt gemacht werden. Ich stelle mich zum Beispiel bei privaten Ereignissen ganz oft vor mit „Hallo, mein Name ist Michaela, ich bin die Mama von …“, oder „Hallo, freut mich. Ich heiße Michaela. Ich bin die Frau von …“.
Dann gibt es noch die Situation, in der ich vorgestellt werde mit „Das ist meine Tochter, die Michaela.“ Oder, oder, oder. Sehr ähnlich ist es im Geschäftsalltag. Hier wird man in Zusammenhang eines Unternehmens vorgestellt: man ist Mitarbeiter/ Chef/ Kollege von Person X/ Firma Y. Dabei stellt man automatisch den Bezug einer Person zu anderen Personen oder Sache in den Mittelpunkt.
Diese Art der Vorstellung vermittelt Vertrauen, weil sie auf Bekanntem aufbaut und dabei hilft, Menschen „ressourcenschonend“ einzuordnen. Das bedeutet, ich muss mir nicht lange Gedanken machen, sondern kann von dem, was ich über die anderen weiß, direkt meine Schlüsse über die neue, unbekannte Person ziehen. „Ah, wenn das die Frau von Ben ist, muss die ja auch total technikbegeistert sein“. Diese Beispiele zeigen, wie grundlegend der Bezug zu anderen Menschen in unserer Sprache hinterlegt ist. Schon alleine daran kann man erkennen, wie wichtig Verbundenheit als Bedürfnis ist.
Verbundenheit: Zusammen können wir alles erreichen, wir sind nie allein und in der Gruppe schmeckt es besser
Aber auch außerhalb unseres engsten privaten Kreises und dem beruflichen Umfeld spielt Verbundenheit eine unglaublich große Rolle. Wie groß diese Rolle letztendlich ist, sehen wir, wenn wir uns ein paar Beispiele anschauen, die zeigen, wie sehr sich Menschen nach Verbundenheit sehnen.
Der dänische Fernsehsender TV 2 wirbt mit dem Gefühl der Verbundenheit. Eine Kampagne soll zeigen, dass es zwischen Gruppierungen oft sehr viel mehr Gründe für Verbundenheit gibt als anfangs gedacht. Unter dem Motto „All that we share“ wird hier eindrucksvoll bewiesen, wie wichtig und emotional das Thema „Verbundenheit“ ist:
Wie oben bereits erwähnt, kann die Zugehörigkeit zu einem Sportverein ein Verbundenheitsgefühl auslösen. Manche Vereine machen das sogar zu ihrem Motto: Der FC Liverpool ist neben seinen herausragenden Leistungen im internationalen Fußballgeschäft vor allem für seine Hymne bekannt: „You’ll never walk alone“ – der Titel steht symbolisch für den Zusammenhalt unter Anhägern der Mannschaft.
Wo sonst spürt man Verbundenheit so sehr wie am Essenstisch? Hier sind wir oft im Kreise der engsten Angehörigen. Wie wichtig dieses Gefühl der Verbundenheit ist, hat auch die Werbung erkannt: Der Lebensmittelkonzern Rügenwalder beispielsweise bewirbt seine Produkte mit dem Satz „Am besten schmeckt’s gemeinsam“ und aktuell auch mit „Wir teilen, was wir lieben“.
Aber auch in der Politik wird auf Verbundenheit gesetzt. Einer der bekanntesten Vertreter unter den Wahlsprüchen ist hier „Yes, we can“.
Auch im beruflichen Umfeld ist die Erfahrung, mit anderen verbunden zu sein, besonders wichtig und eine Grundlage für ein positives Miteinander, Zufriedenheit des gesamten Teams und auch der Produktivität. Nicht umsonst wirbt auch LinkedIn mit den Worten „Gemeinsam ist das neue Ich“.
Die Liste der Beispiele ist endlos. Verbundenheit ist ein essenzieller Teil unserer menschlichen Erfahrungswelt. Viele Produkte werden also mit einem Gefühl von Verbundenheit beworben, was zeigt, dass viele Menschen sich von Produkten, aber auch von Politik und Freizeitveranstaltungen ein Gefühl der Verbundenheit erhoffen. Verbundenheit ist oft auch ein großer Teil des Erlebens, sehr häufig auch bei Produkten und Dienstleistungen, die in erster Linie andere Zwecke erfüllen sollen (wie beispielsweise Lebensmittel, Sportveranstaltungen oder Fernsehsender).
Die Suche nach Verbundenheit in der Techniknutzung
Oft spielt das Bedürfnis eine größere Rolle als anfangs erwartet. Schauen wir uns den ganz konkreten Fall der Smartphone-Nutzung an: Hier sind die Hauptgründe für die Nutzung eines Smartphones:
- Die Suche nach Zusammenhalt (Einen großen Teil der Zeit verbringen Nutzer mit Social Media und Messenger-Diensten)
- Sozialer Druck
- Die Angst, etwas zu verpassen
Alles Gründe, die mit einer Suche nach Verbundenheit zusammenhängen. Erst nach diesen drei Gründen folgt das Verlangen nach Gewohnheit, Entertainment und Unterhaltung. (Source: MDR)
Was bedeutet das für Ihre Produktgestaltung?
Aber welche Rolle spielt das nun für die Produktgestaltung? Es gibt Produkte, die sich zum Ziel gesetzt haben, ausschließlich dieses Bedürfnis zu stillen.
Da wären ganz vorne die offensichtlichsten Produkte: Partnerbörsen im Internet. Das einzige Ziel dieser Börsen ist es, Menschen, die noch alleine sind, zusammen zu bringen. Aus einem „ich“ also ein „wir“ zu machen. Laut Statista hat Parship – einer der größten Anbieter – allein im ersten Quartal 2022 einen Umsatz von ca. 132 Millionen Euro erwirtschaftet (source).
Und Parship ist bei Weitem nicht die einzige Plattform dieser Art. Da fallen mir direkt die aus der Fernsehwerbung bekannten Portale Friendscout24 und Elitepartner ein. Wahrscheinlich sind auch das nicht annähernd alle Anbieter auf dem deutschen Markt. Laut Statista.de waren im Jahr 2015 alleine in Deutschland mehr als 8 Millionen Nutzer auf Partnerbörsen im Internet aktiv. Das zeigt deutlich, dass Verbundenheit nicht nur sprachlich, sondern auch wirtschaftlich ein riesiges Thema ist.
Neben den Partnerbörsen gibt es jedoch noch weitere Produktgruppen, die nur funktionieren, weil Menschen sich mit anderen Menschen verbunden fühlen wollen. Hier wären alle Netzwerke zu nennen, die auf den persönlichen Kontakterhalt und Austausch abzielen. Allen voran zum Beispiel Facebook. Hier zeigen Nutzerzahlen (Q2 2022 = 2,93 Milliarden) und Umsatz (Q2 2022 ca. 28,82 Milliarden US-Dollar (Meta Group gesamt); source) sehr deutlich, wie groß das Potenzial solcher Produkte ist.
Aber auch jede andere Art von Messaging-Dienst, Telefonanbieter oder Kurznachrichtendienst wird zu Teilen mit privaten Nachrichten und privatem Austausch befüllt. Internetseiten, die einem das Hochladen und Ansehen von Fotos ermöglichen, oder Foren, die den direkten Austausch mit anderen Menschen fördern, basieren oft auf folgender Idee: Nähe zu bekannten Menschen herzustellen oder Unbekannte zu Bekannten zu machen.
Konkrete Beispiele: Features, die Verbundenheit auslösen
Menschen brauchen andere Menschen. Berücksichtigen Sie diese Weisheit in Ihrer Entwicklung und helfen Sie Ihren Nutzern im Rahmen Ihres Produkts mit anderen Menschen in Kontakt zu treten oder mit ihnen verbunden zu bleiben. Denn dann haben Sie eine mächtige Funktion in Ihr Produkt integriert.
Wie könnte das konkret aussehen?
Wenn Sie ein Businessprodukt gestalten, könnten Sie zum Beispiel ein Forum anbieten, in dem sich Ihre Nutzer über Erfahrungen und Anwendungen Ihrer Produkte austauschen können. So erhalten Sie permanent Feedback Ihrer Kunden und haben gleichzeitig eine Form von Empfehlungsmanagement integriert.
(source: WordPress Forum Screenshot)
Entwickeln Sie ein Produkt, das online besteht und von mehreren Personen gleichzeitig genutzt wird? Dann versuchen sie doch mal herauszufinden, ob es eine Möglichkeit gibt, den Nutzer darüber zu informieren, wer aus seinem Bekannten-/Freundeskreis das Produkt ebenfalls nutzt. Das kann von „Wussten Sie schon–?“ über Freundeslisten bis zum aktiven gemeinsamen Nutzen reichen.
Außerdem ist das Gefühl von persönlichem Kontakt immer vertrauensbildend. Menschen wollen Kontakt zu Menschen. Wenn Sie auf Ihrer Seite eine Möglichkeit zur Kontaktaufnahme anbieten, dann wirkt dies gleich viel sympathischer. Dabei sollten Sie einen direkten Ansprechpartner benennen und nicht einfach nur ein Kontaktformular oder eine Telefonnummer zur Verfügung stellen. Am besten sogar mit Bild. „Frau/Herr XYZ freut sich auf Ihre Nachricht/Ihren Anruf!“.
Like Buttons oder Buttons, die Reaktionen auf einen Beitrag ermöglichen, sind ein sehr wichtiges Feature, um Verbundenheit zu generieren. Das haben auch Messenger-Dienste wie Telegram oder WhatsApp erkannt. Hier kann man seit Kurzem auf einzelne Nachrichten mit verschiedenen Smileys reagieren. So kann man seine Verbundenheit zu einer Person mit einem Herz-Smiley oder dem bekannten Daumen nach oben ausdrücken.
(source: Telegram Screenshot)
Die Möglichkeit, durch Videotelefonie Ihr Gegenüber nicht nur zu hören, sondern auch zu sehen, kann die Verbundenheit während eines Gesprächs sehr steigern.
Die Möglichkeiten, das Bedürfnis nach Verbundenheit in Ihrer Entwicklung zu berücksichtigen, sind ähnlich vielfältig und ausgeprägt, wie das Bedürfnis selbst. Natürlich können diese Möglichkeiten hier nicht alle vollständig umschrieben werden. Allerdings haben Sie nun eine erste Übersicht darüber, was die Einbindung von Verbundenheit in das Design des eigenen Produkts bedeuten kann.
Fazit
Verbundenheit ist ein besonders essenzielles Bedürfnis von Menschen. Sie können es auf sehr vielfältige Weise in das Design Ihres Produkts einbinden. Auch Produkte, die nicht rein auf das Schaffen von Verbundenheit abzielen, können sehr davon profitieren, wenn sie es erreichen, dass zwei Menschen sich näher fühlen. Von Like-Buttons über das Einbinden eines Forums bis hin zur Videotelefonie sind hier sehr viele Möglichkeiten denkbar.
Hat Ihr Produkt Features, die das Bedürfnis nach Verbundenheit befriedigen? Lassen Sie es uns in den Kommentaren wissen.
Sie haben Fragen zur Einbindung der Nutzerbedürfnisse in Ihrem speziellen Fall? Gerne können Sie sich über unser Kontaktformular melden und ein kostenloses Kennenlerngespräch mit uns vereinbaren.
Wir freuen uns sehr auf Ihre Rückmeldung!
Unsere Bedürfnisreihe
Hier finden Sie unsere Übersicht über die Artikel der Reihe:
Teil 1: Einführung
Teil 2: Verbundenheit
Teil 3: Sicherheit
Teil 4: Kompetenz
Teil 5: Popularität
Teil 6: Stimulation
Teil 7: Autonomie
Teil 8: Bedeutsamkeit
Teil 9: 6 Gründe, warum Sie die Bedürfnisse Ihrer Nutzer kennen sollten