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Der Mythos vom trainierten Benutzer

Autor: Michaela Kauer-Franz

Lesedauer:

Jan 2018

Ist es Ihnen auch schon einmal passiert, dass Leute Ihre Fähigkeiten vollkommen überschätzt haben, nur aufgrund Ihrer Position oder Ausbildung? Mir ist das früher sehr regelmäßig passiert. Auf fast jeder Studentenparty kam irgendwann die Frage „Und, was machst du so?“. Sobald ich dann geantwortet habe „Ich studiere Psychologie.“ wurde ich mit vielen interessanten und nicht immer schmeichelhaften Vorurteilen konfrontiert. Von „Dann hast du ja bestimmt deine Couch dabei“, über „Uh, dann kannst du ja Gedankenlesen“ und „Da muss ich ja aufpassen, was ich jetzt sage“ bis zu „Krass, dann musst du ja voll schlau sein, weil das ist ja voll schwer wegen dem hohen NC“ habe ich alles (meistens mehrfach pro Abend gehört). Tatsächlich habe ich natürlich keine Couch dabei. Und ich kann auch nicht Gedankenlesen (hier bin ich immer noch unentschlossen, ob mich das freut oder ärgert) oder bin „empfindlicher“, „therapeutischer“ oder „schlauer“ als andere Menschen, die nicht Psychologie studiert haben. Natürlich habe ich einen gewissen Informationsvorsprung und wahrscheinlich auch sehr viel Übung im Umgang mit anderen Menschen, aber das führt nicht dazu, dass ich jede Situation brillant meistern würde. Leider.

Wir scheinen jedoch allgemein Experten in einem Gebiet extrem viel zuzutrauen. Das ist auf der einen Seite gut und richtig, auf der anderen Seite macht es den Experten das Leben auch oft deutlich schwerer als notwendig.

In vielen Projekten, die wir mit Kunden durchführen sind Interviews ein fester Projektteil. Meistens zuerst mit den Projektverantwortlichen und den Planern und erst später, wenn wir die Zielsetzung und die Idee des Projekts aus Kundensicht verstanden haben, mit den späteren Nutzern. Die größten Diskrepanzen zwischen der Projektplanung und den Nutzern erlebe ich immer dann, wenn es sich bei den Nutzern um Experten handelt. Dabei meine ich nicht, dass diese Personen „Übermenschen“ sein müssen, die irgendwo Fachbücher geschrieben haben und von anderen zitiert werden. Als Experte gilt man hier oftmals schon, wenn man zum Beispiel eine schwierige Ausbildung abgeschlossen hat (also z.B. Pilot ist) oder jahrelange Erfahrung im Umgang mit einem bestimmten Tool hat (z.B. Microsoft Excel). Und dann passiert in der Projektplanung etwas ganz Erstaunliches: Die Verantwortlichen möchten das Ergebnis auf keinen Fall zu stark vereinfachen. Warum? Wir haben es ja mit Experten zu tun. Die verstehen das schon!

Jedes Mal, wenn ich diesen Ansatz höre, muss ich grinsen. Stellen Sie sich einmal vor, Sie wären Bäcker und zum Frühstück bekommen Sie anstelle von Brötchen Wasser, Mehl, Salz und Hefe auf den Tisch gestellt. Schließlich sind Sie ja Experte! Natürlich könnten Sie sich dann daraus eigene, leckere Brötchen machen. Aber der Aufwand wäre auch viel größer und ich befürchte, in den meisten Fällen würden Sie es sich leichtmachen und irgendetwas anderes essen. Oder stellen Sie sich vor, Sie wären Softwareentwickler für Mobile-Devices und anstelle eines grafischen Interfaces hätte ihr Smartphone ausschließlich eine Kommandozeile. Schließlich können Sie ja damit umgehen! Manchmal wäre das bestimmt total praktisch, vor allem, wenn Sie etwas tun wollen würden, was nicht durch eine einfache App zu erledigen ist. In den meisten Fällen wären Sie aber vermutlich genervt, dass das jetzt schon wieder so umständlich funktioniert und Sie viel mehr Zeit brauchen als nötig.

Und genau das passiert dann auch in den meisten unserer Projekte. Wir sprechen mit den Experten und die wünschen sich, dass es endlich mal eine Anwendung gibt, die sie dabei unterstützt ihre Aufgabe zu erledigen und nicht unnötig kompliziert ist. In ausnahmslos allen Fällen die wir bisher begleiten durften, gibt es nämlich neben der Bedienung der Software eine inhaltliche Aufgabe, auf die sich die Experten gerne konzentrieren würden. Und für die sie weniger Zeit haben als gewünscht, weil der Umgang mit der Software Zeit und Ressourcen frisst. Und in allen Fällen sind die Experten im Anschluss wahnsinnig dankbar, wenn man es schafft, eine Anwendung zu entwickeln, die sie bei Ihrer Aufgabe unterstützt und einfach zu bedienen ist, ohne sie für dumm zu verkaufen. Bei der Vereinfachung der Anwendungen geht es nie darum, Expertenwissen abzuschaffen. Sie dürfen gerne die Fachwörter, Abkürzungen etc. in der Anwendung belassen. Aber sie sollten versuchen den Experten in seinem Ablauf zu unterstützen. Was macht der Experte wann? Welche Information braucht er zu welchem Zeitpunkt? Welche Eingaben muss er wann tätigen? Und dann bieten Sie ihm genau das an. In dem Fachchinesisch, in dem sich der Experte heimisch fühlt. Wenn Sie das hinkriegen, haben Sie am Ende glückliche Experten. Und spannenderweise auch glückliche Planer und Projektverantwortliche. Weil sie plötzlich von den Kollegen und Kunden gelobt werden. Weil plötzlich Begeisterung für eine Anwendung herrscht, über die vorher nur geflucht wurde. Weil sie plötzlich selbst gut dastehen. Ich erlebe so einen Projektabschluss jedes Mal als Win-Win-Win-Situation. Für die Nutzer, weil sie tatsächlich eine Anwendung haben, die sie unterstützt. Für die Auftraggeber, weil die Anwendung leichter zu verkaufen oder zu vertreten ist. Und natürlich für uns, weil sich gute Arbeit normalerweise wie von selbst verbreitet. Meine Empfehlung an Sie: Wenn Sie das nächste Mal eine Anwendung für Experten entwickeln: Vergessen Sie, dass es sich um einen Experten handelt.

Viele Grüße

Michaela Kauer-Franz

P.S.: Wenn Sie noch mehr Infos über ein konkretes Expertenprojekt wollen, kann ich Ihnen unsere Case-Study zum Lufthansaprojekt empfehlen.

 

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