Das Interview ist wohl eine der vielseitigsten und mächtigsten Methoden, wenn es um ein tiefgehendes Nutzerverständnis geht.
Grundsätzlich beschreibt ein Interview erst einmal das Gespräch von zwei Personen miteinander, wobei einer als der Fragende und einer als der Befragte auftritt.
Tatsächlich kann ein Interview jedoch auch mit mehreren Personen gleichzeitig durchgeführt werden, wobei der Fokus hier auf dem Gespräch von zwei Personen liegen soll.
Ein Interview verfolgt normalerweise immer das Ziel, mehr über einen Bereich zu erfahren.
Wie läuft ein Interview ab?
Dazu wird gewöhnlich ein Interviewleitfaden erstellt, an dem sich das Interview orientiert.
Wie eng sich der Fragende an den Leitfaden hält, ist dabei von der Form des Interviews abhängig: Bei einem strukturierten Interview werden ausschließlich die Fragen auf dem Leitfaden gestellt.
Bei einem semi-strukturierten Interview werden zusätzlich zu den Leitfadenfragen noch spontan Fragen eingebunden, die sich aus der Gesprächssituation ergeben.
Bei einem freien Interview bildet der Leitfaden den Einstiegspunkt in das Gespräch, wobei der weitere Verlauf offen ist.
In der Produktentwicklung wird am häufigsten das semi-strukturierte Interview eingesetzt. Zusätzlich zu den vorgegebenen Fragen können durch den Interviewer zusätzliche Fragetechniken wie z.B. das Laddering (bei dieser Methode werden durch gezieltes und aufeinander aufbauendes Nachfragen die Zusammenhänge zwischen Produktmerkmalen und deren subjektiver Bedeutung offengelegt) eingebracht werden. Diese dienen dazu, nicht nur oberflächliche Antworten über offensichtliche Eigenschaften des Produkts (z.B. Aussehen), sondern auch tiefergehende Bedürfnisse des Nutzers zu erfassen. Diese Bedürfnisse gezielt zu befriedigen, bedeutet eine messbare Verbesserung der UX des Produkts!
Auch wenn das Interview erstmal als an sich sehr häufige und sehr einfach anzuwendende Methode erscheint, so ist die Qualität der Ergebnisse gerade bei der Durchführung von Interviews fundamental von der Erfahrung der Interviewer abhängig, da es im direkten Gespräch sehr einfach ist, unabsichtlich Einfluss auf die Antworten des Befragten zu nehmen.
Einschub: Offene und geschlossene Fragen
Offene und geschlossene Fragen sind zwei unterschiedliche Arten von Fragen, die in Interviews verwendet werden können. Die Wahl zwischen offenen und geschlossenen Fragen hängt von den Zielen des Interviews und der Art der Informationen ab, die gesammelt werden sollen.
Stark zusammengefasst heißt das: Offene Fragen ermöglichen eine umfassendere und detailliertere Antwort, während geschlossene Fragen spezifische und leicht zu quantifizierende Informationen liefern können.
Schauen wir uns beide Arten etwas genauer an.
Offene Fragen:
Offene Fragen ermöglichen den Befragten, ausführliche und freie Antworten zu geben.
Sie ermutigen, Gedanken, Meinungen und Erfahrungen detailliert zu beschreiben.
Sie beginnen oft mit Wörtern wie „Wie“, „Was“ oder „Warum“ und eröffnen Möglichkeiten, die es dem Befragten erlauben, seinen Standpunkt umfassend darzulegen.
Offene Fragen sind flexibel und ermöglichen es dem Interviewten, Folgefragen auf dem Gesagten aufzubauen.
Beispiel einer offenen Frage: „Was sind Ihre Erfahrungen mit dem Produkt X?“
Geschlossene Fragen:
Geschlossene Fragen erfordern vom Befragten, eine bestimmte Antwortoption aus einer begrenzten Auswahl auszuwählen oder eine kurze, präzise Antwort zu geben.
Sie liefern spezifische Informationen und können nützlich sein, um Daten zu sammeln, die einfach zu kategorisieren oder zu quantifizieren sind. Geschlossene Fragen beginnen oft mit Wörtern wie „Haben Sie…?“, „Würden Sie…?“ oder „Wie oft…?“.
Sie bieten begrenzte Antwortmöglichkeiten, z. B. Ja/Nein, eine Skala von 1 bis 5 oder eine vordefinierte Auswahl.
Geschlossene Fragen sind auch nützlich, um den Interviewprozess effizienter zu gestalten.
Beispiel einer geschlossenen Frage: „Haben Sie das Produkt X in den letzten sechs Monaten verwendet?“
Bitte vermeiden: Suggestivfragen
Suggestivfragen sind Fragen, die bewusst oder unbewusst eine gewünschte Antwort oder eine bestimmte Meinung implizieren. Diese Fragen haben in Interviews zur Steigerung der UX den folgenden Nachteil: Die Antwort oder Meinung der Person, die befragt wird, wird in eine bestimmte Richtung gelenkt oder allgemein beeinflusst. Das verzerrt natürlich Ihre Testergebnisse, da Sie die wahren Bedürfnisse und Meinungen Ihrer Nutzer durch Suggestivfragen nicht herausfinden können.
Oft passieren Suggestivfragen unbewusst und völlig ohne schlechte Intention des Fragenden. Ein Beispiel hierfür: Es könnte passieren, dass man durch Vorannahmen aus vorherigen Teilen des Interviews schon zu glauben weiß, was der Interviewte antworten wird und aus Versehen lässt man das dann in die eigene Frage einfließen.
Um in Ihren Interviews valide Erkenntnisse über die Meinungen und Bedürfnisse der Nutzer zu erlangen, brauchen Sie also Interviewer, die Ihr Handwerk beherrschen und Suggestivfragen gezielt vermeiden!
Ein Beispiel für eine Suggestivfrage: „Denken Sie nicht auch, dass es besser wäre, wenn dieses Feature an einer anderen Stelle platziert wäre?“.
Einschub 2: Qualitative und quantitative Interviews
Bei der UX Methode „Interview“ haben Sie zwei grundlegende Auswahlmöglichkeiten: Sie können quantitative oder qualitative Interviews führen (und diese gegebenenfalls kombinieren).
Quantitative Interviews zielen darauf ab, numerische Daten zu sammeln, um allgemeine Trends und Muster zu identifizieren. Sie verwenden standardisierte, geschlossene Fragen und erfordern größere Stichproben, um repräsentative Ergebnisse zu erzielen. Meistens sind das strukturierte Interviews, die für jeden Teilnehmer die gleichen Fragen beinhalten. Die Daten werden statistisch analysiert, um statistische Zusammenhänge und Unterschiede zu identifizieren.
Qualitative Interviews dagegen haben das Ziel, tieferes Verständnis über die Erfahrungen und Perspektiven der Befragten zu gewinnen. Offene Fragen ermöglichen ausführliche Antworten, die eine detaillierte Beschreibung der Themen erlauben. Kleinere Stichproben werden gezielt ausgewählt, um spezifische Meinungen und Erfahrungen zu untersuchen. Die Daten werden mittels qualitativer Analysemethoden ausgewertet, um Kategorien, Themen und Muster zu identifizieren.
Beide Methoden haben ihre eigenen Vor- und Nachteile und können je nach Forschungsfrage und Zielen kombiniert werden, um ein umfassenderes Bild zu erhalten.
Welche Fragen sollen Sie also in Ihren Interviews stellen?
Das kommt voll und ganz auf Ihr Ziel an. Wenn Sie erfahren wollen, wie eine Person ein Produkt nutzt und warum es für diese Person gut oder schlecht ist, verwenden wir hauptsächlich offene Fragen. Offene Fragen bilden den Kern der meisten Interviews.
Wollen Sie gezielt Vergleichbarkeit schaffen oder konkrete Werte schaffen und vergleichen, dann setzen Sie hauptsächlich geschlossene Fragen ein. Die meisten unserer Interviews zur Steigerung der UX beinhalten bis zu zehn geschlossene Fragen, die die Nutzer auffordern, bestimmten Aussagen auf einer Skala von 0 bis 10 zuzustimmen.
Suggestivfragen (siehe vorheriger Einschub) legen die Antworten in den Mund und manipulieren die Antworten– das ist nicht das, was Sie erreichen wollen. Daher sollten Sie Suggestivfragen zu jeder Zeit vermeiden.
Was sollten Sie bei einem Interview beachten?
Folgende Punkte sind besonders wichtig:
- Die richtigen Nutzer: Nur von den passenden Nutzern erhalten Sie valide Daten. Sie sollten also besonderes Augenmerk auf die Rekrutierung legen.
- Der richtige Leitfaden: Der Leitfaden muss zu dem passen, was Sie erfragen wollen. Wenn Sie beispielsweise die Zustimmung zu einem Konzept erfahren wollen, sollten Sie geschlossene Skalenfragen einbauen. Wenn an Ihrem Konzept gut oder schlecht ist, erfahren Sie über offene Fragen.
- Ihre Fragen sollten von grob nach fein gehen. Erst behandeln Sie die Themen auf einer allgemeineren Ebene und gehen dann in die Details.
- Die richtige Durchführung: Bei falscher Durchführung können Verzerrungen der Meinungen und Antworten der Nutzer entstehen. Achten Sie darauf, dass Sie Interviewer haben, die wissen, wie sie diese Verzerrungen vermeiden.
- Schaffen Sie eine Gesprächssituation, in der der Nutzer sich wohlfühlt und den Großteil der Zeit spricht.
Welche Vorteile hat die Methode?
- Ein Interview kann sehr schnell tiefgehende Erkenntnisse über die eigenen Nutzer und deren Bedürfnisse, Wünsche und Arbeitsabläufe generieren. So sind Interviews oft auch eine gute Ergänzung zu anderen Methoden wie Feldbeobachtungen.
- Sie lernen die Nutzerbedürfnisse kennen und verstehen, durch deren Befriedigung Sie gezielt die UX Ihres Produkts steigern können.
- Sie können die Zustimmung oder Ablehnung zu Konzepten erfragen und Annahmen bestätigen oder als falsch erwiesen bekommen – und all das von den echten Nutzern Ihres Produkts.
Welche Nachteile hat die Methode?
- Gerade bei qualitativen Interviews braucht die Auswertung in der Regel circa dreimal so lange wie das Interview selbst. Hierfür müssen die Ressourcen vorhanden sein.
- Nur durch einen richtig erstellten Leitfaden bzw. Fragebogen kann man valide Ergebnisse erzielen. Sie brauchen hier also jemanden, der sich tiefgehend mit der Methodik und Erstellung auskennt.
- Das Gleiche gilt auch für die Durchführung: Auch hier brauchen Sie jemanden, der sein Fach versteht und Verzerrungen der Antworten durch den Interviewer vermeiden kann.
Diese Fragen beantwortet das Interview
- Wird mein Produkt durch den Nutzer verstanden?
- Wie gefällt den Nutzern die optische Gestaltung meines Interfaces?
- Welche Features brauchen meine Nutzer wirklich?
- Wie verändert sich die Nutzung meiner Produkte mit der Zeit?
- Gibt es irgendetwas an meinem Produkt, was meine Nutzer verärgert oder begeistert?
- Welche Veränderungswünsche haben meine Kunden?
- Möchte der Nutzer mein Produkt verwenden?
Wie läuft ein Interview bei uns ab?
Lassen Sie uns gemeinsam herausfinden, ob ein Interview die richtige Methode für Ihre Fragestellung ist und wie eine Zusammenarbeit im Detail abläuft. Unsere Kontaktdaten finden Sie hier.
Nicht die richtige Methode für Ihre Frage?
In unserem Design-Methoden-Assistenten haben wir die wichtigsten Methoden zu den typischsten Fragen zusammengestellt. Probieren Sie den Methoden-Assistent aus und finden Sie genau die passende Methode zu Ihrer Frage.
Die Auswahl der richtigen Methode erleichtert auch die Entscheidungsmatrix in unserem Buch über Usability und User Experience Design. Dort finden Sie auch viel Hintergrundwissen über die Methode selbst sowie UX & UI generell.
Fazit
Ein Interview ist die perfekte Methode, um qualitative Einsichten über die Nutzer zu generieren oder quantitative Daten zu erheben. Dabei sind Interviews oft auch eine sehr wichtige Ergänzung von anderen Methoden wie Feldbeobachtungen (zum Beispiel im Zuge einer Nutzungskontextanalyse).
Sie sind sich sicher, dass ein Interview die richtige Methode zur Verbesserung Ihres Produkts ist? Dann melden Sie sich gerne bei uns und wir finden gemeinsam heraus, was wir hier für Sie tun können.
Gerne können Sie sich direkt bei uns über unser Kontaktformular melden. Wir freuen uns auf Sie!