In diesem Blogbeitrag geht es um den Zusammenhang zwischen Usability & User Experience und Geld. In unserer Firmenpraxis hören wir oft, dass Usability & User Experience ja „erstmal bezahlt werden müssen“ und dass man „erstmal die Technik macht und danach macht man es dann schön“. Warum das nicht funktioniert, habe ich bereits im letzten Blogbeitrag „Die Qual der (Usability und User Experience) – Methodenwahl“ verdeutlicht. In diesem Beitrag möchte ich nun erklären, warum diese Denkweise auch aus wirtschaftlicher Sicht keinen Sinn macht. Warum kann man mit Usability & User Experience denn nun Geld sparen und sogar mehr Geld verdienen? Drei Gründe:
1. Berücksichtigung von Usability & User Experience in der Entwicklung eines Produkts spart direkt Geld und erhöht den Umsatz / Gewinn
Durch die direkte und konsequente Berücksichtigung von Usability & User Experience ab der ersten Produktidee lassen sich bereits zu Beginn einer Entwicklung die Funktionen des Produkts identifizieren, die für den späteren Nutzer wichtig sind – oder eben nicht. Hierdurch können Sie direkt von Beginn an den Fokus auf die Funktionen legen, die die Nutzer brauchen und gerne möchten und sparen sich so die Detaillierung sowie Entwicklung von Funktionen, die später wieder aus dem Produkt fliegen, da sie nicht genutzt werden. Weiterhin ermöglicht Ihnen die Fokussierung auf den späteren Nutzer, eine Anpassung der Architektur des Produktes (z.B. der Aufbau des Datenmodells einer Datenbank) an die Bedürfnisse und Wünsche des Nutzers. Mit diesen grundlegenden Entscheidungen zu Beginn einer Entwicklung werden die Gesamtkosten des Projekts maßgeblich mitbeeinflusst (siehe Abbildung 1). Leider erleben wir immer wieder, dass Nutzer in spät in der Entwicklungsphase angesiedelten Nutzertests Funktionswünsche äußern, die dann nicht mehr oder nur mit großem Änderungsaufwand (und damit hohen Kosten) integrierbar sind. Hierdurch wird viel Potential verschenkt, das Produkt so gut wie möglich an den Nutzer anzupassen und letztlich auch zu verkaufen.
Abbildung 1: Gerade zu Beginn einer Entwicklung ist die Möglichkeit zur Kostenbeeinflussung am größten. Um hier keine grundlegenden Fehler (und damit hohe Kosten) zu verursachen, sollten Sie so gut wie möglich wissen, welche Funktionen das Produkt später enthalten soll. Hier helfen Ihnen frühe Usability & User Experience Tests sowie Nutzerbefragungen. [Abbildung nach Ehrlenspiel 2014: Kostengünstig Entwickeln und Konstruieren]
Neben den direkten Einsparungsmöglichkeiten durch vermiedene Fehlentwicklungen einzelner Funktionen oder des gesamten Produkts können durch die Fokussierung auf Usability & User Experience auch indirekt Kosten eingespart werden. Wie bereits beschrieben, wissen Sie durch die Nutzerfokussierung sehr früh im Entwicklungsprozess welche Funktionen Sie entwickeln sollten und welche nicht. Hierdurch können Sie Ihr Produkt effizienter entwickeln, sodass die time-to-market sinkt. Gleichzeitig vermindern sich durch die Zeiteinsparung auch die Entwicklungskosten.
Die schnellere time-to-market hat aber auch noch einen weiteren Effekt: In einer Zeit von schnell wachsenden Konkurrenten mit ähnlichen Ideen kann die eingesparte Zeit bares Geld wert sein, da beispielsweise noch eine größere Zielgruppe zur Verfügung steht oder man das eigene Produkt sogar vor der Konkurrenz auf den Markt bringen kann. Hierdurch können neben den beschriebenen Kosteneinsparungen auch noch größere Umsätze / Gewinne erzielt werden.
Zahlen aus der Praxis:
- Im Schnitt hängen etwa 47-66% der Codezeilen eines Softwareprojekts mit dem User Interface zusammen (inuse 2013). Eine sinnvolle Planung und Testung mit Nutzern ist daher unumgänglich um hochwirtschaftlich zu arbeiten!
- Eine schnelle Entwicklung ist der Schlüssel für ein wirtschaftlich erfolgreiches Produkt. Verzögert sich die Veröffentlichung eines Produkts um ein Quartal, verringert sich der Profit des Produkts typischerweise um 50%. (Conklin 1991)
2. Produkte mit hoher Usability & User Experience lassen sich besser verkaufen und werden seltener zurückgegeben
Denken Sie einmal darüber nach, wie Sie neue Produkte für sich privat kaufen. Evtl. gehören Sie zu den Menschen, die sich vorab informieren und Produktfunktionen vergleichen, um auf dieser Basis das beste Produkt zu finden. Wahrscheinlich haben Sie aber auch schon Produkte aufgrund der Marke, der Werbung oder dem dazugehörigen Image gekauft. Beide Kaufverhalten sind weit verbreitet und haben, obwohl sie erstmal völlig unterschiedlich anmuten, etwas gemeinsam: Sie als Käufer möchten kein schlechtes Produkt. Haben Sie sich dann für ein Produkt entschieden und probieren es zum ersten Mal aus, dann haben Sie bereits gewisse Erwartungen an das Produkt. Beispielsweise möchten Sie den angepriesenen riesigen optischen Zoom Ihrer neuen Digitalkamera direkt einmal ausprobieren. Aber was passiert, wenn Sie den Zoom nicht auf Anhieb bedienen können oder vielleicht die Digitalkamera nicht einmal anschalten können? Es macht sich Ernüchterung breit, die sogar dazu führen kann, dass Sie ein soeben gekauftes Produkt für „doch nicht so toll“ befinden und zurückgegeben. So (oder so ähnlich) ergeht es 48% aller zurückgegebenen Produkte, die laut einer Studie (Ouden et al. 2006) technisch einwandfrei funktionieren, aber nicht mehr gefallen.
Schlechte Usability & User Experience kann also direkt dazu führen, dass ein Produkt nach dem Kauf zurückgegeben wird und somit Kosten entstehen. Weiterhin ist es wahrscheinlich, dass der enttäuschte Kunde über seine Erfahrungen spricht. Tut der Kunde das nicht nur im kleinen Kreis, sondern über Produktrezensionen im Internet, erhalten viele potentiellen Käufer einen Hinweis darauf, dass die Bedienung des Produkts kompliziert sein könnte. Überlegen Sie nun bitte einmal, wie Sie persönlich darauf reagieren, wenn Sie einen solchen Hinweis über ein Produkt lesen, welches Sie evtl. kaufen möchten. Es ist sehr wahrscheinlich, dass Sie sich zumindest nach weiteren Alternativen umschauen, die eine bessere Bedienbarkeit aufweisen. Hierdurch verstärkt sich der Effekt eines unzufriedenen Kunden auf viele andere, die plötzlich beginnen Alternativprodukte zu suchen. Schlechte Usability & User Experience führen daher fast immer zu niedrigeren Verkaufszahlen und damit zu einem wirtschaftlich nicht oder zumindest weniger erfolgreichem Produkt.
Mit einer sehr guten Usability & User Experience hingegen kann sich dieser Effekt aber auch ins Positive drehen und den Ausschlag zum Produktkauf darstellen. Empfehlungen von anderen Personen führen letztlich immer zu neuen Kunden und somit zu mehr Umsatz / Gewinn.
Zahlen aus der Praxis:
- Eine Studie von Creative Good 2000 ergab, dass eine Steigerung der Kundenzufriedenheit für verschiedene Produkte im Schnitt dazu führte, dass 40% mehr verkauft wurde. Wenn daher die Kundenzufriedenheit durch sehr gute Usability & User Experience steigt, werden auch mehr Produkte verkauft!
- Gewöhnlich erzielen einfache Usability & User Experience Maßnahmen eine Traffic- oder Verkaufssteigerung um 100% oder mehr. (Nielsen 1999)
3. Produkte mit hoher Usability & User Experience haben geringere Support- und Wartungskosten
Im dritten Punkt möchte ich darauf eingehen, was mit einem Produkt passiert, dass nicht so funktioniert wie der Nutzer es erwartet aber weiterhin eingesetzt wird. Das ist z.B. dann der Fall, wenn der Nutzer nicht der Käufer ist (z.B. im B2B-Bereich) oder die Probleme nicht so groß sind, dass das Produkt direkt umgetauscht wurde. Bei der Verwendung des Produkts werden in diesem Fall immer wieder Fragen oder Probleme entstehen, die der Nutzer nicht alleine beantworten bzw. lösen kann oder möchte. In den meisten Fällen lösen Nutzer diese Art von Problemen, indem sie sich an den Produktsupport wenden. Hierdurch entstehen Ihnen nach dem Verkauf des Produkts weitere Kosten, da Sie die Probleme Ihrer Kunden lösen müssen. Sind diese Probleme auf schlechte Usability & User Experience zurückzuführen ist dies besonders ärgerlich, da diese Kosten von vornherein hätten vermieden werden können. Zusätzlich wären Ihre Kunden natürlich auch zufriedener, wenn sie nicht hätten anrufen müssen.
Neben den Supportkosten fallen bei den meisten Produkten auch Wartungskosten an. Beispielsweise müssen Sie fortwährend Software testen und aktualisieren, wenn z.B. ein neues Betriebssystem bzw. ein Betriebssystemupdate erscheint. Auch Sicherheitslücken in Ihrer Software oder in der verwendeten Software von Drittanbietern müssen Sie immer wieder aktualisieren um Ihre Kunden zufrieden zu stellen. Haben Sie nun ein komplexeres Produkt mit vielen Funktionen, die von den meisten Nutzern nicht oder nur selten verwendet werden, ist der Wartungsaufwand entsprechend größer. Da Ihnen die bereits beschriebene Fokussierung auf den Nutzer hilft, ausschließlich die richtigen Funktionen in Ihre Produkte einzubauen, müssen Sie auch nur diese Funktionen warten. Den Rest können Sie sich sparen.
Zahlen aus der Praxis:
- Fokus auf Usability & User Experience reduzierte die Support-Anrufe bei McAfee um 90% (Software CEO 2004)
- 80% der Fixes bei Softwareprodukten sind Probleme mit dem User Interface. Die restlichen 20% entfallen auf Bugs in den „eigentlichen“ Funktionen des Programms (Creative Good 2000)
- 80% der Kosten des gesamten Lebenszyklus einer Software entfallen auf die Wartungsphase und stehen im Zusammenhang mit „nicht vorhergesehenen“ oder „nicht erzielten“ Kundenanforderungen und anderen Usability Problemen (Nielsen 1993)
Fazit
Zusammenfassend können Sie allein durch die konsequente Fokussierung auf den späteren Nutzer kürzere Entwicklungszeiten, eine größere Kundenzufriedenheit, bessere Produktbewertungen sowie eine höhere Weiterempfehlungsquote erreichen. Zusätzlich sparen Sie auch noch immens an Support- und Wartungskosten und können neben den Kosteneinsparungen auch noch höhere Gewinne / Umsätze erzielen. Die Frage sollte also nicht sein, wie Sie sich Usability & User Experience leisten können. Stattdessen sollten Sie sich fragen, ob Sie es sich leisten können / wollen, auf die Vorteile von Usability & User Experience zu verzichten.
Aber sind Usability & User Experience Maßnahmen nicht unfassbar teuer? Im nächsten Blogbeitrag (erscheint Anfang April) erkläre ich Ihnen, warum Usability & User Experience Maßnahmen nicht teuer sein müssen und wie Sie sich bereits für wenig Geld Experten- und Nutzermeinungen zu Ihrem Produkt einholen können.
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