Um erste grundlegende Anhaltspunkte über den Nutzungskontext zu bekommen, ist eine Contextual Inquiry oft die beste Wahl. Aber was genau macht man in dieser Methode, wie läuft sie ab, welche Best Practices gibt es und was sind eigentlich die Vor- und Nachteile? All das möchten wir hier in diesem Grundlagenartikel klären.
Viel Spaß beim Lesen!
Was ist eine Contextual Inquiry?
Bei der Contextual Inquiry handelt es sich um eine Mischung aus Feldbeobachtung im realen Nutzungskontext und gleichzeitiger oder nachgelagerter Befragung der beobachteten Personen. Die Idee der Methode ist es, den Nutzer in seiner realen Umgebung beim Umgang mit dem Produkt zu beobachten und dabei direkt zu seinen Verhaltensweisen zu befragen.
Folgende Kernelemente hat die Methode:
- Beobachtung im natürlichen Umfeld: Im Gegensatz zu Laborexperimenten versucht die Contextual Inquiry, Benutzer in ihrem natürlichen Umfeld zu beobachten. Das kann am Arbeitsplatz, zu Hause oder an anderen Orten sein, an denen die Benutzer die Produkte oder Dienstleistungen verwenden.
- Aktive Teilnahme: Der Forscher nimmt aktiv am Arbeitsprozess der Benutzer teil. Dies kann bedeuten, dass er Fragen stellt, den Benutzer bei seinen Aktivitäten beobachtet oder sogar bestimmte Aufgaben gemeinsam mit dem Benutzer durchführt.
- Offene Dialoge: Während der Contextual Inquiry werden offene Dialoge zwischen dem Forscher und dem Benutzer geführt. Der Forscher erkundigt sich nach dem „Warum“ und dem „Wie“ hinter den Handlungen des Benutzers, um tiefere Einblicke in deren Bedürfnisse und Entscheidungsprozesse zu erhalten.
- Kontinuierliche Verbesserung: Die Methode betont die kontinuierliche Verbesserung durch wiederholte Beobachtungen und Anpassungen. Nach den Beobachtungen können Designänderungen vorgenommen und erneute Beobachtungen durchgeführt werden (auch durch andere UX-Methoden), um sicherzustellen, dass die Anpassungen den Benutzeranforderungen besser entsprechen.
Wie läuft eine Contextual Inquiry ab?
Bei einer Contextual Inquiry beobachtet man eine Person vor Ort, ähnlich wie bei einer Feldbeobachtung. Im Unterschied dazu erfolgt jedoch eine aktive Befragung der beobachteten Person. Die Befragung kann parallel zur Beobachtung oder im Anschluss durchgeführt werden, wobei die effizienteste Methode eine parallele Vorgehensweise ist. Es wird darauf hingewiesen, dass Fragen und Interventionen einen Einfluss auf das Verhalten der befragten Person haben können. Falls es keinen Zeitdruck gibt, ist es ratsam, zunächst passiv zu beobachten, bevor man in die Befragung einsteigt.
Die Vorbereitung für Contextual Inquiries erfolgt ähnlich wie für Feldbeobachtungen und Interviews, wobei eine Fragenliste erstellt wird, die live ergänzt wird, basierend auf der Beobachtungssituation. Die Stärke dieser Methode liegt darin, dass sie eine Iterationsschleife sparen kann, indem Informationen aus Beobachtung und Befragung effektiv kombiniert werden. Die Contextual Inquiry eignet sich besonders zu Beginn eines Projekts, um kostengünstig und schnell viele Informationen zu sammeln.
Die Fragen beginnen oft mit konkreten Details der aktuellen Handlung und gehen erst im Nachgang zu allgemeinen Fragen über. Sie sollten sich also während der Beobachtung auf Verständnisfragen zur Ausführung konzentrieren und den Gesamtkontext erst im Nachgang erfassen. Dies ermöglicht eine effiziente Durchführung und detaillierte Erfassung von Handlungen.
Was sollten Sie bei einer Contextual Inquiry beachten?
Hier sind ein paar unserer Best Practices für die Durchführung einer Contextual Inquiry:
- Klare Forschungsziele festlegen: Definieren Sie klare und spezifische Forschungsziele, um den Fokus der Contextual Inquiry zu bestimmen. Klären Sie, welche Fragen beantwortet werden sollen, und entwickeln Sie Hypothesen, die getestet werden sollen.
- Repräsentative Teilnehmer auswählen: Wählen Sie Teilnehmer aus, die repräsentativ für die Zielgruppe des Produkts oder der Dienstleistung sind. Berücksichtigen Sie zudem falls nötig unterschiedliche Benutzertypen, um eine vielfältige Perspektive zu erhalten.
- Vorabzustimmung und Transparenz: Informieren Sie die Teilnehmer im Voraus über den Zweck der Methode und erhalten Sie ihre Zustimmung zur Teilnahme. Klären Sie, dass es darum geht, ihre Arbeitsweise zu verstehen, und nicht darum, sie zu bewerten.
- Beobachtung mit Empathie: Beobachten Sie die Benutzer mit Empathie und versuchen Sie, sich in ihre Lage zu versetzen. Achten Sie darauf, nonverbale Signale und Emotionen der Benutzer zu erfassen, um ein umfassenderes Bild zu erhalten.
- Offene Fragen stellen: Stellen Sie offene Fragen, um die Gedanken, Motivationen und Überlegungen der Benutzer zu verstehen. Fragen Sie nach dem „Warum“ hinter bestimmten Handlungen, um tiefere Einblicke zu erhalten.
- Aktive Teilnahme, wenn möglich: Beteiligen Sie sich aktiv an den Aktivitäten der Benutzer, um deren Perspektive besser zu verstehen. Dies kann bedeuten, dass Sie bestimmte Aufgaben selbst ausführen, um die Erfahrung aus erster Hand zu erleben.
- Notizen in Echtzeit: Machen Sie kontinuierlich detaillierte Notizen während der Sitzung, um den Kontext und die Abläufe genau zu dokumentieren. Verwenden Sie audiovisuelle Hilfsmittel, um bestimmte Aspekte besser festhalten zu können.
- Flexibilität und Anpassung: Seien Sie flexibel und passen Sie Ihre Herangehensweise an unerwartete Situationen oder neue Erkenntnisse an. Bleiben Sie offen für unerwartete Entdeckungen und passen Sie Ihre Fragen entsprechend an.
- Ethik und Datenschutz: Respektieren Sie die Privatsphäre der Teilnehmer und handeln Sie ethisch.Stellen Sie sicher, dass Sie sich an Datenschutzrichtlinien und -praktiken halten.
Welche Vorteile hat die Methode?
- Tiefe Erkenntnisse: Erfassung von sowohl objektiven als auch subjektiven Informationen in einem Durchgang
- Weniger Recruiting-Aufwand: Vereinfachte Gewinnung von Teilnehmenden im Vergleich zu zwei separaten Terminen
- Echtes Verständnis im Kontext: Die Contextual Inquiry ermöglicht es Forschern, Benutzer in ihrer realen Umgebung zu beobachten, was ein authentisches Verständnis für ihre Aktivitäten, Herausforderungen und Bedürfnisse bietet. Dieser Kontext hilft bei der Identifizierung von tatsächlichen Problemen und Verbesserungsmöglichkeiten.
- Frühe Einblicke: Durch die Methode können Entwickler und Designer früh im Entwicklungsprozess Einblicke in die Bedürfnisse der Benutzer gewinnen. Dies hilft dabei, Probleme zu identifizieren und zu lösen, bevor ein Produkt fertiggestellt ist, was letztendlich Kosten und Zeit sparen kann.
- Interaktion in Echtzeit: Durch die direkte Beobachtung können Forscher die tatsächlichen Interaktionen der Benutzer mit einem Produkt oder einer Dienstleistung in Echtzeit verfolgen. Dies ermöglicht ein tieferes Verständnis für den Gebrauch und identifiziert potenzielle Optimierungsmöglichkeiten.
- Aufdecken von implizitem Wissen: Benutzer können Schwierigkeiten haben, ihre Bedürfnisse und Präferenzen explizit zu artikulieren. Durch die Beobachtung ihrer Handlungen in ihrem natürlichen Umfeld können Forscher implizites Wissen aufdecken, das möglicherweise nicht durch Interviews oder Umfragen erfasst werden kann.
- Ganzheitliches Verständnis: Die Contextual Inquiry ermöglicht es, den gesamten Arbeitsfluss und Kontext der Benutzeraktivitäten zu verstehen. Dies ist besonders wichtig, um sicherzustellen, dass ein Produkt oder eine Dienstleistung nahtlos in die Arbeitsweise der Benutzer integriert werden kann.
- Verbesserung der Benutzerzentrierung: Durch den Fokus auf die Benutzerkontexte und -bedürfnisse hilft die Contextual Inquiry dabei, Produkte und Dienstleistungen besser auf die Anforderungen der Benutzer auszurichten, was zu benutzerzentrierten Lösungen führt.
Welche Nachteile hat die Methode?
- Hoher Aufwand bei der Auswertung: Da sowohl Beobachtungs- als auch Befragungsdaten entstehen
- Zugangsprobleme: Ähnlich wie bei Feldbeobachtungen kann es auch hier zu Zugangsproblemen kommen, vor allem im privaten Umfeld oder bei B2B-Umfeldern.
- Zeitaufwändig: Die Methode kann zeitaufwändig sein, insbesondere wenn sie in den natürlichen Umgebungen der Benutzer durchgeführt wird. Die Beobachtung und das Verständnis der Kontexte erfordern Zeit, und die Teilnahme an den Aktivitäten der Benutzer kann einige Zeit in Anspruch nehmen.
- Kosten: Die Durchführung einer Contextual Inquiry kann kostspielig sein, besonders wenn sie mit Reise- oder Ausrüstungskosten verbunden ist. Dies kann zu Budgetbeschränkungen führen, insbesondere für kleinere Projekte oder Organisationen.
- Subjektive Interpretation: Die Interpretation der Beobachtungen in einer Sitzung kann subjektiv sein. Forscher können unterschiedliche Perspektiven haben, und es besteht die Gefahr von Verzerrungen oder Vorurteilen bei der Analyse der gesammelten Daten.
- Eingeschränkte Generalisierbarkeit: Aufgrund des Fokus auf spezifische Benutzerkontexte kann eine Contextual Inquiry manchmal weniger generalisierbare Ergebnisse liefern. Die Beobachtungen sind stark auf die spezifischen Bedingungen und Umgebungen der Benutzer beschränkt.
- Mögliche Beeinflussung der Benutzer: Die Anwesenheit von Forschern während der Durchführung kann das Verhalten der Benutzer beeinflussen. Benutzer könnten sich bewusster oder vorsichtiger verhalten, was zu einer Verzerrung der Beobachtungen führen kann.
Schwierigkeiten bei sensiblen Themen: In einigen Fällen könnten Benutzer zögern, private oder sensible Informationen preiszugeben, wenn Forscher in ihren persönlichen Räumen anwesend sind. Dies kann zu Einschränkungen bei der Sammlung von umfassenden Informationen führen.
Diese Fragen beantwortet eine Contextual Inquiry?
- Welche Features brauchen meine Nutzer wirklich?
- Wie kommt es, das Nutzer mein Produkt anders verwenden als gedacht?
- Welche allgemeinen Usability-Probleme weist mein Produkt auf?
- Möchte der Nutzer mein Produkt verwenden?
- Wer sind die Hauptnutzer meines Produkts und wie unterscheiden sie sich?
- Wo treten Probleme (z.B. Fehler, Wartezeiten, sich „verlaufen“) bei der Bedienung meines Produkts auf?
- Unterstützt die Gestaltung meines Interfaces die Nutzer bei Ihren Aufgaben?
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Fazit
Durch die Kombination von Interview und Feldbeobachtung spart die Methode einiges an Zeit, da bei Unklarheiten direkt die Ursache erforscht werden kann.
Auf der anderen Seite nimmt die Anwesenheit des Interviewers und die Unterbrechung durch dessen Fragen natürlich Einfluss auf den Nutzer und die Art, wie er mit dem Produkt umgeht.
Trotzdem kann es Anwendungsfälle geben, wo eine Contextual Inquiry den „saubereren“ Methoden vorzuziehen ist, so zum Beispiel, wenn die Zeit des Gegenübers stark beschränkt ist oder die Nutzung des Produkts nur einen sehr geringen Zeitanteil an der eigentlichen Aufgabe einnimmt.
Lassen Sie uns gemeinsam herausfinden, ob eine Contextual Inquiry die richtige Methode für Ihre Fragestellung ist und wie eine Zusammenarbeit im Detail abläuft. Unsere Kontaktdaten finden Sie hier.